Politik

Zuwider den lärmenden Massen: Fundamentales zur Äußerungsfreiheit

Historische Lehren gezogen?


Pressefreiheit - Sybolbild (Quelle: Pixabay)
Entwürdigte Menschlichkeit - Symbolbild
(Quelle: Pixabay)
GDN - Der Verfasser wirft aus aktuellem Anlass die Frage auf, durch welches Rechtsgut bei äußerungsrechtlichen Streitereien das hohe Gut der Meinungsfreiheit beschränkt wird: Und stellt die Frage nach dessen verfassungsrechtlichen und historischen Wertigkeit.
Gegenwärtig erhitzt ein Streit zwischen dem Bundesinnenminister und weiten Teilen der Medienlandschaft die Gemüter, weil Ersterer eine Strafanzeige gegen eine Journalistin zu erstatten gedenkt, welche in einem Artikel mutmaßlich Menschen mit Müll gleichgesetzt haben soll.

Der Verfasser verlinkt hierzu drei Fundstellen, welche lediglich als aktuelle Beispiele taugen sollen, um bestimmte Phänomene einer tiefgreifenderen Reflexion zu unterziehen.

Zunächst eine Fundstelle, in welcher der Bundesinnenminister seine Sichtweise darstellt:

://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/horst-seehofer-spricht-ueber-die-stuttgarter-nacht-der-schande-teil-der-bevoelke-71423524.bild.html
Sodann eine Fundstelle, durch welche dieser von Seiten der Verteidigung der besagten Journalistin entgegen getreten wird.

https://taz.de/Verteidigung-taz-Kolumne/!5696661/

Zuletzt noch eine Fundstelle zu einer Solidarisierungskampagne zugunsten der betreffenden Journalistin - in Gestalt eines Offenen Briefes bzw. einer Petition:

https://taz.de/Solidaritaet-fuer-Hengameh-Yaghoobifarah/!5696769/

Der Verfasser verfolgt nicht die Absicht, zu dieser öffentlichen Fede an sich Stellung zu beziehen: Sondern vielmehr das Anliegen prinzipielle Fragen zur gegenwartsgeschichtlichen Entwicklung des Äußerungsrechts aufzuwerfen:
Dass die Pressefreiheit ein sehr hohes Gut ist - steht außer Zweifel. Diese gewährt jedoch die Freiheit der Presse als Institution, wie das Rechts frei Medienunternehmen zu gründen, Medien herauszugeben und zu verlegen, sowie die Verbürgen von spezifischen Sonderrechten, wie etwa Auskunftsansprüchen. Diese Institutionsgarantie steht vorliegend nach hier vertretener Ansicht gar nicht Rede, da diesbezüglich keinerlei Tangierungen ersichtlich sind.
Dreh- und Angelpunkt ist mithin die Meinungsfreiheit, welche der Maßstab für die äußerungsrechtliche Zulässigkeit einzelner Autorenäußerungen ist. Und es ist eine Tatsache, dass diese Meinungsäußerungsfreiheit durch eine Schrankentrias beschränkt ist: Im betreffenden Grundrechtsartikel selber verankert. Eine Schranke dieser Trias sind die allgemeinen Gesetze, worunter auch die Strafgesetze fallen. Diese sind wegen der hohen Bedeutsamkeit der Meinungsäußerung für die demokratische Willensbildung jedoch ihrerseits durch die Meinungsfreiheit eingeschränkt auszulegen.

Nach diesem Wertesystem ist im Bereich der Meinungsäußerung lediglich so genannte Schmähkritik nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit gedeckt.
Aufmerken lassen sollte nach der Einschätzung des Verfassers jedoch, worauf diese Bewertungen verfassungsrechtlich gestützt werden. Es ist nämlich das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen widerstreitende verfassungsrechtliche Positionen abzuwägen, um das Ergebnis im Einzelfall zu finden. Diese Gegenposition ist das Persönlichkeitsrecht der von einer medialen Äußerung ggf. betroffenen Mitmenschen. Und dieses beruht ganz maßgeblich auf der Menschenwürde. Damit der Tatbestand der Schähkritik angenommen werden kann - muss die betreffende Meinungsäußerung die Würde des Menschen missachten.
Die Meinungsfreiheit ist für die Demokratie wesenskonstituierend: Und demgemäß fraglos ein sehr hohes Gut derselben. Gleichwohl sollte man von diesem Licht geblendet nach der Meinung des Verfassers nicht den Wert der Menschenwürde verkennen: Denn die Pflicht zur Achtung und zum Schutz derselben ist der zentralste und fundamentalste Verfassungsgrundsatz des Grundgesetzes überhaupt.
Gleich nach der auf die Erfahrungen aus der Nazi-Tyrannei verweisenden Präambel beginnt der erste Satz des ersten Artikels mit der Würde des Menschen und deren Unantastbarkeit. Obschon in den Grenzen der Ewigkeitsklausel mit qualifizierter Mehrheit sogar Grundrechte abgeschafft werden könnten, muss auch durch den Verfassungsgesetzgeber deren jeweiliger Menschenrechtskern unangetastet bleiben. Der Schutz der Menschenwürde ist oberster Staatsauftrag mit Bindungswirkung gegenüber jedweder staatlichen Gewalt - und mit unmittelbarer Drittwirkung auch gegenüber den Medien mitsamt sämtlichen deren Journalisten/innen.
Nach der Einstufung des Verfassers ist diese Wertentscheidung die wichtigste und fundamentalste des gesamten Grundgesetzes schlechthin: Nicht “nur“ wesenskonstituierend für die Demokratie - sondern Dreh- und Angelpunkt des Gesamt-Staates und des Gesellschafts-Lebens schlechthin.

Zu dieser Thematik verlinkt der Verfasser einen detaillierten Artikel eines Professors für Kommunikationsstrafrecht, welchen Ersterer nach weitgehender Fertigstellung seines hiesigen Beitrages zufällig gefunden hat:

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-beschluss-1-bvr-2459-19-grundrechte-meinungsfreiheit-beleidigung-grenze/
Abschließend will der Verfasser noch auf Versuche eingehen, Gerichtsverfahren mit Petitionen zu Parlamenten gleichsam zu neutralisieren.

Die Demokratie beruht ganz maßgeblich auf einer Dreiteilung der Gewalten in Legislative, Exekutive und Judikative, wobei die Judikative gemäß der Verfassung rechtsstaatstypisch unabhängig ist. Aufgabe der Judikative ist es primär Gesetze zu erlassen und die Regierung zu kontrollieren. Die Überwachung der Einhaltung dieser Parlamentsgesetze ist jedoch alleinige Aufgabe der - unabhängigen - Gerichtsbarkeit.
Insoweit ist natürlich auch die Bundeskanzlerin als Exekutivspitze nicht eine Art “Vorgesetzte“ der Fachgerichtsbarkeit, wie auch das gesetzgebende Parlament nicht in eine Einzelfallprüfung der Dritten Gewalt einzugreifen hat. Auch hierbei handelt es sich um ganz fundamentale Wertentscheidungen des Grundgesetzes.

Diese grundsätzlichen Tatbestände sollte man sich einmal in aller Ruhe überlegen. Jenseits vom lärmenden Geschrei der Internet-Meute. Zudem nicht zuletzt auch überparteilich, überideologisch und überkonfessionell.
Und sich einmal die Frage stellen, welche Entwicklung der Schutz der Menschenwürde im Internetzeitalter der letzten 15 Jahre genommen hat - und welche derselbe in der zukünftigen Rechtsprechung nehmen soll. Vor lauter medialer Freiheit ist von diesem absoluten verfassungsrechtlichen Kernbestand nämlich kaum mehr etwas übrig geblieben.

Und gerade dadurch wurde die wohl wichtigste historische Lehre der Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht umgesetzt.
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