Politik
Sars-CoV2 - Symbolpolitik und Maskenpflicht
Politische Kompetenzsimulation
Masken gehören zum Alltagsbild (Quelle: heldmann.photography)
GDN -
In immer mehr Kommunen legen Lokalpolitiker eine Tragepflicht von Mund-Nase-Bedeckung in Innenstädten fest. Begründet wird dies mit einer hohen 7-Tage-Inzidenz der Sars-CoV2-Infizierten. Warum dies infektionsbremsend wirken soll, wird allerdings nirgends schlüssig erklärt.
Dass Mund-Nase-Bedeckung, wenn sie richtig angewandt wird, Infektionen reduziert, ist wissenschaftlich inzwischen wohl unumstritten. Eine jüngst veröffentlichte japanische Studie errechnet eine Risikominimierung um 70%. Andere Untersuchungen kommen auch auf etwas höhere Werte. Allerdings gelten solche Werte für die Begegnung einer nicht infizierten Person mit einer solchen, die sich in einer ansteckenden Phase befindet. Um die Wirkung auf eine Kohorte zu bewerten, muss zusätzlich auch einkalkuliert werden, wie hoch ein solches Begegnungsrisiko ist.
Ein im Sommer 2020 veröffentlichtes Thesenpapier “Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 - der Übergang zur chronischen Phase - “ eines interdisziplinären Autorenteams um Prof. Dr. med. Matthias Schrappe (Köln) setzt sich auch mit der Effektivität dieser Präventionsmaßnahme auseinander. Die Autoren verweisen dazu auf eine Metastudie aus Norwegen von Schünemann et al, 2020: “Danach wird geschätzt, dass 200.000 Menschen eine Maske tragen müssen, um pro Woche eine neue Infektion zu vermeiden. So könne eine 40prozentige Reduktion des relativen Risikos erreicht werden. Diese hohe Anzahl der Maskenträger ist wegen der niedrigen Prävalenz oder Baseline für ein Infektionsrisiko notwendig.“ (S. 59) Anders hingegen in Einrichtungen des Gesundheitswesens oder der Pflege: “Hier kann das Risiko für eine Infektion für einen von zwei Berufstätigen im medizinischen Bereich wiederum um 40 Prozent gesenkt werden, wenn alle in diesem Umfeld eine Maske tragen.“ (ebenda)
Weiter heißt es: “Unter Berücksichtigung des norwegischen Beispiels wäre es z.B. schwer vorstellbar, dass ein Arzneimittel positiv bewertet würde, bei dem 200.000 Menschen behandelt werden müssen, um bei einem Patienten einen Vorteil erkennen zu können. Diese Relation liegt weit außerhalb einer akzeptierten Number Needed to Treat (NNT). Dabei sind mögliche unerwünschte Wirkungen z.B. durch einen falschen oder nachlässigen Umgang mit einer Maske, die eine Infektionsgefährdung symptomlos infizierter Personen für andere Menschen darstellen könnten, nicht einmal berücksichtigt (Number Needed to Harm (NNH)).“ (S. 60)
“Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat sich im Mai 2020 (Dell weg et al. 2020) ebenfalls zum Nutzen von Masken geäußert und kam zu dem Ergebnis (zusammenfassend):
“¢ Durch das Tragen von Mund-Nasen-Masken wird die exspirierte Aerosolwolke in ihrer Ausdehnung zu einer gegenüberstehenden Person reduziert, jedoch seitwärts und nach oben in geringem Maße umgeleitet.
“¢ Der propagierte Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern erscheint an Hand der publizierten Daten zu exspirierten Aerosolwolken ausreichend zu sein.
“¢ Der schützende Effekt der Maske kommt vor allem innerhalb von geschlossenen Räumen zum Tragen. Unter freiem Himmel kann bei Einhalten des Sicherheitsabstandes auf den Mundschutz verzichtet werden.
“¢ Masken mit Exspirationsventil sollten zum gegenseitigen Schutz nicht eingesetzt werden.
“¢ Selbstgefertigte Masken aus verschiedenen Tuchgeweben sind in der Lage, einen Anteil der Bakterien und Viren zu filtern. Die Filterleistung der verschiedenen Materialien ist sehr unterschiedlich. Auf die regelmäßige Reinigung der Maske ist unbedingt zu achten.
“¢ Eine geringere Luftdurchlässigkeit ist i.d.R. mit einer besseren Filterleistung verbunden, erhöht aber auch die Belastung der Atempumpe. Bei der Materialauswahl sollte darauf geachtet werden, dass längeres (dauerhaftes) Atmen durch die anliegende Maske erfolgen kann.“ (S. 61f.)
In den Begründungen für eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nase-Bedeckung in Innenstädten wird, wenn es denn eine Begründung überhaupt gibt, darauf verwiesen, der empfohlene Abstand von 1,5 Meter sei dort nicht (immer) einzuhalten. So heißt es z.B. in der Begründung der Allgemeinverfügung der Stadt München vom 23.10.2020 hierzu relativ lapidar:
“Der genannte Bereich wird daher neben den dort beschäftigten Personen auch von Besucher*innen und Tourist*innen stark frequentiert, die für eine überdurchschnittlich stark besuchte Innenstadt sorgen. Er lädt aufgrund seiner Ausstattung auch zum Verweilen ein. Die Kaufingerstraße zählt zu den umsatzstärksten Einkaufsmeilen Deutschlands, die Neuhauser Straße ist eine der beliebtesten Einkaufsstraßen in Deutschland.“ (Quelle: https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Infektionsschutz/Neuartiges_Coronavirus.html#ab)
In der Pressemeldung der Stadt Frankfurt vom 24.10.2020 klingt das noch unkonkreter: “Unser Ziel ist und bleibt es, einen neuen Lockdown zu verhindern. Deshalb: Frankfurt trägt Maske. Alle Frankfurterinnen und Frankfurter sind aufgerufen, mitzuhelfen, die Infektionszahlen wieder abzusenken. Seien sie diszipliniert, tragen Sie Masken, halten sie Abstand und waschen Sie ihre Hände,“ sagten Oberbürgermeister Peter Feldmann, Bürgermeister Uwe Becker und Gesundheitsdezernent Stefan Majer.“ (Quelle: https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/sondermeldungen/frankfurt-traegt-maske)
Dass es keine schlüssige Begründung für diese Maßnahmen gibt, liegt wohl daran, dass eine solche Begründung mit Vielem zu tun haben würde, aber wohl wenig mit der Infektionslage. Das RKI stellt in seinen täglichen Situationsberichten regelmäßig klar, wo die wesentlichen Infektionsquellen liegen: “Der bundesweite Anstieg wird durch Ausbrüche, welche insbesondere im Zusammenhang mit privaten Treffen und Feiern sowie Gruppenveranstaltungen stehen, verursacht. Auch werden wieder vermehrt COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet.“ (Täglicher Lagebericht “¦ vom 26.10. 2020; Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-26-de.pdf?__blob=publicationFile)
In der NZZ wird am 23.10.2020 zu den Erkenntnissen der Wissenschaftler Christian Althaus von der Universität Bern oder Christian Drosten von der Charité Berlin berichtet. “Zurzeit gehen Experten davon aus, dass bei Sars-CoV-2 zwischen 10 und 20 Prozent der Infizierten für 80 Prozent der Infektionsfälle verantwortlich sind. Allerdings versteckten sich diese Cluster sozusagen in der flächigen Ausbreitung, sagt Drosten. “¦ Ein Cluster entsteht, wenn eine infizierte Person durch lautes oder auch feuchtes Sprechen, heftiges Atmen oder Singen sehr viele Virenpartikel ausstösst. Zudem muss diese infizierte Person in ihrer hochinfektiösen Phase sich oft länger und in räumlicher Nähe mit vielen Personen getroffen haben. Besonders stark steigt das Ansteckungsrisiko, wenn solche Superspreader über längere Zeit in einem geschlossenen, schlecht gelüfteten Raum mit vielen anderen Menschen zusammen waren. Denn dort bleiben die ausgestossenen Virenpartikel als Aerosole in der Luft. In solchen Situationen schützt auch ein Abstand von 1,5 Metern nicht vor einer Infektion, denn ein solcher verhindert zwar direktes Anhusten, nicht aber das Einatmen von mit Viren angereicherter Luft.“ (NZZ, 23.10.2020 “Diffuse Ausbreitung des Coronavirus?“)
Einkaufen im Supermarkt, Theaterbesuche, Konzertbesuche Spaziergänge im Freien oder Besuche von Sportveranstaltungen zählen bisher nicht zu den Infektionstreibern. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn neben Abstand gibt es einen zweiten wesentlichen Faktor für eine Übertragung: Die Dauer der Begegnung. Das RKI hat daher Risikobegegnungen in zwei Kategorien eingeteilt. Die Kategorie 1 umfasst Kontakte im Nahfeld (<1,5m): “Im Nahfeld (etwa 1,5 m) um eine infektiöse Person ist die Partikelkonzentration größer (“Atemstrahl“). Es wird vermutet, dass die meisten Übertragungen über das Nahfeld erfolgen“.
Als Beispiel nennt das RKI “Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- ("face-to-face") Kontakt mit einem Quellfall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs“. Entsprechend ist auch die Corona-Warnapp so ausgelegt, dass sie bei einer Risikobegegnung erst dann zum Handeln auffordert, wenn diese im Nahbereich und über mindestens 15 Minuten erfolgte.
Der zweite Fall entsteht bei hoher Konzentration von Aerosolen im Raum: “Darüber hinaus können sich Viruspartikel in Aerosolen bei mangelnder Frischluftzufuhr in Innenräumen anreichern, weil sie über Stunden in der Luft schweben können. Vermehrungsfähige Viren haben (unter experimentellen Bedingungen) eine Halbwertszeit von etwa 1 Stunde. In einer solchen Situation mit hoher Konzentration infektiöser Viruspartikel im Raum sind auch Personen gefährdet, die sich weit vom Quellfall entfernt aufhalten.“ In diesem Kontext verweist das RKI darauf, dass das Risiko mit der “Enge des Raums“ und “dem Mangel an Frischluftzufuhr“ steige. (Quelle: https://www.rki.de/)
Begegnungen der Kategorie 2 werden mit einem geringen Infektionsrisiko bewertet; diese werden von der Corona-Warnapp zwar gemeldet, aber mit dem Hinweis, dass keine Maßnahmen erforderlich seien. Als Beispiele dazu nennt das RKI:
“¢ Nahfeldexposition (< 1,5 m) unter 15 Minuten
“¢ Quellfall und Kontaktperson tragen MNS oder eine MNB durchgehend und korrekt in Situationen, in denen 1,5 m Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte. Folgende Bedingungen müssen dabei erfüllt sein: (1) MNS oder eine MNB nach Definition wie bei BfArM (oder nach neuem Eurostandard (CWA 17553)) UND (2) wenn diese durchgehend und korrekt, d.h. enganliegend und sowohl über Mund und Nase getragen wurde.
“¢ Kurzzeitiger Aufenthalt (Anhaltswert < 30 min) in einem Raum mit hoher Konzentration infektiöser Aerosole (Quelle: ebenda)
Die Begegnungen im Freien, z.B. in Innenstädten sind überwiegend, auch wenn sie im “Nahfeld“ stattfinden, solche der Kategorie 2. Begegnungen dauern in der Regel nur wenige Sekunden, Aerosole sind nicht zu erwarten, da die Frischluftzufuhr permanent erfolgt. Nur bei längeren Begegnungen “face-to-face“ oder bei “direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines Quellfalls, wie z.B. Küssen, Anhusten, Anniesen, Kontakt zu Erbrochenem, Mund-zu-Mund Beatmung“ (RKI a.a.O.) kann man von einem Risikokontakt der Kategorie 1 ausgehen. Daraus lässt sich jedoch schwerlich begründen, warum ausnahmslos von allen Menschen, die sich in diesen Räumen bewegen oder aufhalten, Mund-Nase-Bedeckung getragen und Fehlverhalten sanktioniert werden soll. Zu letzteren setzt die Stadt Frankfurt inzwischen nicht nur eigenes Personal ein, sondern auch bewaffnete Bundespolizei in größerem Umfang.
Auch die Stadt Kassel hat in ihrer Pressemeldung vom 26.10.2020, mit der die Maskenpflicht ab dem Folgetag in Teilen der Innenstadt veröffentlicht wurde, eine scharfe Sanktionierung angekündigt: “Deshalb haben wir hier nachjustiert und werden künftig verstärkter kontrollieren und sanktionieren“, wird Oberbürgermeister Geselle zitiert. (Quelle: https://www.kassel.de/pressemitteilungen/2020/oktober/stadt-schraenkt-kontakte-weiter-ein.php) Wie bei anderen Städte auch, findet sich auch in Kassel keine nachvollziehbare Begründung für die verordnete Maskenpflicht. Im Gegenteil, wird doch sogar explizit ausgeführt: “Es hat sich gezeigt, dass ein großer Teil der Infektionen auf den sorglosen Umgang Einzelner mit den gebotenen Hygieneregeln in dieser Pandemie-Situation zurückzuführen ist. Dabei spielen private Feiern wie Hochzeiten, Geburtstage oder Partys eine große Rolle“, sagte Oberbürgermeister Christian Geselle mit Blick auf die Erkenntnisse der Behörde.“ (ebenda) Wissen muss man dazu auch, dass die Stadt Kassel zuletzt samstags wiederholt Teile der Friedrich-Ebert-Straße gesperrt hat, um das Geschehen in den dortigen Kneipen und Clubs nach draußen zu verlagern, und die kürzlich noch als “Klimakiller“ verfemten Heizpilze als Ultima Ratio gepriesen hat, um Restaurants und Gaststätten auch in der kälteren Jahreszeit einen Gastbetrieb im Freien zu ermöglichen. Kritik an der Sperrung der Straße wurde mit Verweis darauf gekontert, hier sei es nicht zu Infektionsclustern gekommen.
Nun also wird der öffentliche Raum wider besseren Wissens als Hochrisikozone behandelt. Wie sich das mit folgender Aussage vereinbaren lässt, bleibt das Geheimnis des Oberbürgermeisters: “Bei allen Regelungen und Einschränkungen gelte es, den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und dabei Maß und Mitte zu finden. Dabei befinde man sich in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Geselle: “Deshalb sehen wir hier vor Ort ganz genau hin, wo und bei welchen Anlässen sich Infektionen ausbreiten. An diesen Stellen greifen wir zum Schutz der Bevölkerung dann ein und nehmen damit auch in Kauf, dass vorübergehend grundrechtlich geschützte Interessen eingeschränkt werden.“
Die Süddeutsche Zeitung kommentiert am 27.10.2020 unter dem Titel “Söders Symbolpolitik“ die Absicht, nur noch 50 Zuschauer in Theatern und Konzertsälen zu erlauben: “Manch einem mag das als eine sinnvolle Maßnahme erscheinen, um die immer hemmungsloser um sich greifende Seuche einzudämmen. “¦ Warum aber greift Söder zu diesem Mittel? Es drängt sich der Verdacht auf: Er betreibt bloße Symbolpolitik. “¦ Das Publikum vereinzelt, die wirren und sich oft ändernden Regeln nehmen Menschen zunehmend die Lust “¦ Der Preis für seine Symbolpolitik ist zu hoch.“ Dies lässt sich durchaus auf die weitgehend sinnfreien Verordnungen zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung im Freien übertragen.
Es bringt keine Effekte hinsichtlich der Infektionsdynamik (in Frankfurt ist trotz der Maskenpflicht die Inzidenz weiter gestiegen, also gab es vom Falschen noch etwas mehr: Die Maskenpflicht wurde auf weitere Bereiche ausgeweitet). Die Lust der Menschen in den Innenstädten einzukaufen, wird weiter schwinden und die Zahl von Schließungen der ohnehin wenigen inhabergeführten Geschäfte zunehmen.
Das Verständnis für unsinnige Maßnahmen wird dafür beitragen, dass es auch dort sinkt, wo die Maßnahmen Effekte haben (z.B. im Nahverkehr, in Schulen, bei Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen usw.) und in der Folge wird das Sanktionsregime weiter ausgeweitet (siehe das Beispiel der einst als liberal bekannten Stadt Frankfurt oder die ständig erhobenen Forderungen nach Erhöhungen von Bußgeldern). Das sind weder für das gesellschaftliche Zusammenleben noch das liberale demokratische Gemeinwesen gute Aussichten.
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